von Hendrik Deters » 27.02.2006, 23:05
Moin!
Tja Jens, deine Frage ist mehr als berechtigt, jedoch aber mindestens genauso schwer zu beantworten, was man an der Zahl der Antworten erkennen kann. Scheinbar kann sich jeder hier in etwa die Antwort vorstellen, vermutlich sicnd wir alle ein klein wenig Schuld an der von dir beschriebenen Entwicklung.
Ich möchte mal eine Antwort wagen, will aber niemandem zu nahe treten. Vor allem will ich hier nicht verallgemeinern, denn ich habe in diesem Forum viele, sympathische und kompetente Bulldogfahrer kennengelernt.
1.: Nach meinem Wissensstand ist die Bulldogszene die älteste Gemeinschaft innerhalb der Oldtimer-Traktoren-Gemeinschaft.
2.: da seinerzeit (ca. 1975-1990) die Bulldogs noch etwas besonderes waren, galten auch die Besitzer irgendwie als "besonders", vielleicht auch "spleenig".
3.: Um einen Bulldog zum Laufen zu kriegen und zu restaurieren, bedurfte es damals viel Enthusiasmus, Improvisationskunst, Fingerfertigkeit und eine gut ausgestattete Werkstatt.
4.: Selbst wenn man damals ein richtig dickes Portemonnaie hatte, konnte man bulldogtechnisch weniger damit anstellen als heute. Siehe Punkt 3.
5. Wenn man damals der absolute Hingucker auf einem Oldi-Treffen sein wollte, brauchte man einen Lanz. Heute reicht ein normaler, originaler Ackerluft nicht mehr aus. Man braucht einen Cabrio-Eiler, einen Lanz der Feuer speit und derbe knallt, eine Chrom-Auspufftüte, 18.9er Hinter- und 8.25er Vorderreifen. Die Lackierung darf selbstverständlich nicht grau-matt sein, sondern 2K-Mehrschicht weinrot mit zwölf Schichten Klarlack. Wessen Bulldog originale 20 läuft, wird in der Regel lachend mit Tempo 45 überholt.
Ich möchte hier von einer "Inflation" des Bulldog-Hobbys sprechen. Es ist der berühmte Hund, der sich in den Schwanz beißt:
Als zunächst die Holländer und dann die Deutschen erkannten, daß mit Repro-Bulldog-Ersatzteilen ein Markt zu bedienen war, gings los: Es wurde erschwinglich, einen Lanz zu restaurieren, weil man einfach fehlende bzw. kaputte Teile ganz einfach neu kaufen konnte. Heute ist es so, daß das Portemonnaie bestimmt, wie umfangreich ein Bulldog restauriert wird. Es sind in der Regel Leute mit einem (hohen) geregelten Einkommen, die deshalb auf den Geschmack kommen, einen Lanz zu restaurieren, bzw. zu lassen. Dadurch steigt die Nachfrage nach Lanz Bulldogs. Folge: Die Ersatzteile werden stets günstiger, die Schlepper selbst jedoch immer teurer. Bulldogs werden aus Timbuktu und Sulawesi re-importiert. Polnische Ursus werden gefälscht. Aus Ursus werden Eiler zusammengebastelt. Warum? Siehe Punkt 5. Als Krönung werden sogar Bulldogs komplett neu hergestellt.
Wie sieht die Entwicklung in der Deutz-Szene aus? Oder in der Holder-, der Eicher-, der Hanomag- und der Güldner-Szene ?
Ganz anders!
Da gibt es keine wüsten Beschimpfungen, weil jemand aus einem 15er Deutz einen Straßenschlepper bastelt. Weil es niemand macht! Ersatzteile werden trotz Nachfertigungen zu realen Preisen gehandelt. Die Atmosphäre ist oftmals viel entspannter. In diesen Kreisen gibt es, nach meinen Erfahrungen, eher weniger leute, die mit Ihrem Schlepper um jeden Preis auffallen wollen. der olympische Gedanke -dabeisein ist alles- zählt da mehr.
Mal ehrlich: Wieviele Deutz und Hanomags habt ihr schon gesehen mit verchromten Zylinderkopfmuttern? Oder mit verchromtem Windschutzscheibenrahmen? Oder blitzenden Messingkühlern?
Ich noch keinen einzigen. Dafür freue ich mich, wenn ich junge, normale Jungs und Mädels sehe, die voller Eifer einer kleinen Deutz oder Güldner restaurieren und dabei wertvolle Erfahrungen sammeln. Wenn der Deutz oder Güldner oder Fahr oder Porsche dann fertig restauriert ist, erhalten diese vollkommen begeisterten jungen Menschen Anerkennung von überall her, weil sie mangels Kohle das allermeiste an den alten Treckern selbst machen mußten, mit den eigenen Händen.
Ich zolle heute einem 16jährigen, der innerhalb von 2 Jahren einen stinknormalen Deutz originalgetreu restauriert hat, viel, viel mehr Respekt, als jemandem, der für 8.000 EUs sich einmal z.B. den Delegro-Katalog hoch- und runter bestellt hat (nichts gegen Delegro!).
Also, Leute, mein Appell: Back to the roots!
Ich möchte zum Schluß nochmal ganz klar sagen, daß ich hier versucht habe, eine Antwort auf Jens Frage zu geben, und keinem Bulldogfahrer zu nahe treten wollte. Mein Vater selbst besitzt einen 38er Eiler (siehe Foto).
Schöne Grüße, und viel Spaß weiterhin!
Gruß, Hendrik
Von der Wiege bis zur Bahre: Nur Hubers beste Bulldogs fahre!